Pullmann Schlafwagen
»Ich
habe es gern, wenn der Regen klatschend gegen die
Abteilfenster schlägt und die Tropfen hastig schräg nach
unten laufen. Dann ist es besonders gemütlich, und ich
denke an meinen Großvater mit dem Bordeaux, worauf ich bald
in den Speisewagen gehe. Die schönsten Bücher habe ich in
einer Fensterecke gelesen .. « Dies Zitat aus einer »Liebeserklärung«
benannten Glosse Walter Foitzicks enthält schon den letzten
Komfort der Eisenbahn unserer Tage. Jener Großvater, der,
wie Foitzick sagt, einem »alten Eisenbahnpassagiergeschlecht«
entstammte, nahm zu jeder Fahrt eine Flasche Bordeaux und
ein halbes gebratenes Huhn mit ins Coupe, denn es gab
damals noch keine Speisewagen. Die Geschichte muss vor dem Siebziger Krieg gespielt haben,
denn die ersten Schlafwagen und Speisewagen in Deutschland
liefen seit 1872 (Schlafwagen) und 1880 (Speisewagen). Zuvor gab es Mitte der 60erJahre nur besonders eingerichtete Personenwagenabteile der 1. und 2. Klasse: Man konnte, wie heute in den Schnell- und Eilzugsitzwagen, zwei gegenüberliegende Sitzpolster bis zur Mitte des Abteils vorziehen. Einige Eisenbahnverwaltungen hatten dies als Bequemlichkeit für ihre Nachtpassagiere eingeführt. Die Schlafwagen waren von dem belgischen Ingenieur
Nagelmackers (1845-1905) konstruiert, der seine Erfahrungen
bei Pullmann in Amerika gesammelt hatte. Wieso entstanden die ersten Schlaf- und Speisewagen in
den USA? Einmal verkehrten in den ersten Jahren die Züge in
Europa nachts nicht; die Wagen hatten deshalb auch keine
Beleuchtung- zum zweiten aber waren die ersten Strecken
nicht lang genug, um das Bedürfnis nach solchen Wagen
aufkommen zu lassen. Um 1850 stehen den 14515 Bahnkilometern
in den USA nur 6044 Streckenkilometer in Deutschland gegenüber! Es heißt, dass schon um 1850 in Südrussland und zur
selben Zeit auch in den USA auf der Cumberland-valley-railroad
Schlafwagen verkehrten. In den amerikanischen güterwagenartigen
Fahrzeugen lagen hintereinander Strohsäcke, auf die sich
die müden Reisenden mit Hut, Stiefeln und Colt warfen.
George Mortimer Pullman (1831-1897), ein amerikanischer
Tischler, fand die Bezeichnung Schlafwagen dafür übertrieben.
Er stellte sich darunter etwas ganz anderes vor. Und ähnlich
wie Stephenson begnügte er sich nicht mit phantastischen
aber utopischen Plänen. Er konstruierte mit einem
Gehilfen zusammen einen Schlafwagen eigener Fertigung mit
Waschgelegenheit, Toiletten und bezogenen Betten. Der Wagen hatte bei einer Probefahrt 1859 einen großen
Erfolg. Und schon gab es Nachahmer: Seit 1869 verkehrte auf
der Great Western Railway von Kanada ein Hotelwagen, in dem
man essen, schlafen und wohnen konnte. Ermutigt durch den
Erfolg baute Pullman den verbesserten Typ »Pionier«. Da
den Privatgesellschaften aber der Kauf der Spezialwagen zu
teuer erschien - sie waren durch den Konkurrenzkampf und
die stetige sofortige Gewinnabschöpfung immer knapp bei
Kasse- so kam Pullman auf die Idee, die Wagen zu vermieten.
Er fand Geldgeber; das Geschäft blühte, Pullmanfabriken
wuchsen; es gab eine eigene Pullmanstadt im Süden von
Chicago. Um 1880 gehören zu Pullmans Gesellschaft 2500
Spezialwagen. Dieses Geschäft musste nach Ansicht des belgischen Ingenieurs George Nagelmackers auch in Europa einschlagen. Allerdings waren die weiten europäischen Strecken, für die Speise- und vor allem Schlafwagen in Betracht kamen, aus zwei Gründen nur unter Schwierigkeiten mit solchen Wagen zu befahren. Einmal waren die großen Linien Ende der 50er Jahre zum Teil noch im Bau, zum zweiten unterbrachen viele Landesgrenzen die längeren Strecken. An diesen Grenzen behinderten langwierige Pass und Zollformalitäten den Fernreisenden. Das bedingte Wagenwechsel und »langwierige Prozessionen der Fahrgäste durch muffige Zolllokalitäten« (Behrend). Auch die Eisenbahnverwaltungen machten Schwierigkeiten.
Zwar würden die Reisenden den vollen Fahrpreis der Bahnen
entrichten und dies, obwohl Nagelmackers sie mittels seines
eigenen rollenden Materials beförderte. Aber schließlich
besorgten die Bahnen die Traktion - gut: Nagelmackers wollte
auch dafür bezahlen. Als erste Verwaltung willigten die
belgischen Bahnen ein. König Leopold II und seine Regierung
hatten sanften Druck ausgeübt. Sie waren an dem Unternehmen
beteiligt. Aberein weiteres Abkommen mit den deutschen und
französischen Bahnen annullierte der 70er Krieg - auch andere
Pläne, zum Beispiel mit den Engländern, stellten sich
letzten Endes als nicht realisierbar heraus.
Ein verbesserter Schlafwagen war auf der Weltausstellung
1873 in Wien zu sehen: Er war eine Attraktion! Doch der kleinen, 1873 in Lüttich gegründeten Firma -
Compagnie Internationale des Wagons-Lits- fehlte das Geld.
So kam Nagelmackers auf den Gedanken, mit dem amerikanischen
Ingenieur William D'Alton Mann, der den englischen Markt mit
Schlafwagen eigener Konstruktion belieferte, zwecks Vergrößerung
des Wagenparks zu fusionieren. Jetzt fuhren in Europa 16 »Mann- Boudoir – Sleeping-Cars«.
Doch Pullman, der schon den Konkurrenten Mann aus Amerika
verdrängt hatte, setzte nach. Er wollte mit seinem
Pullman-Car Europa erobern. »Midland«, ein Wagen mit
offen daliegenden Betten rechts und links eines
Mittelganges, wurde allen europäischen
Eisenbahnverwaltungen gezeigt: Man nannte ihn schlicht
unmoralisch. Auch hatte man gegen den schweren, vierachsigen
Drehgestellwagen technische Bedenken. Denn anders als die Amerikaner hielten die europäischen
Eisenbahnverwaltungen streng auf Sitte und Zucht. Es gab
besondere Damencoupes. Und Manns Schlafwagenabteile waren
geschlossen. 1876 gründete Nagelmackers - Mann war inzwischen aus der
Firma ausgeschieden- die neue Compagnie Internationale des
Wagons-Lits (CIWL). Es bleibt anzumerken, dass in Frankreich
der Schlafwagen »Le sleeping« und in England »The
WagonsLits« hieß. Die
neue Firma bediente 53 Verbindungen in Belgien,
Deutschland, England, Frankreich und Österreich. Um 1880
begannen erste Versuche, mit Vierachsern; bisher hatte man
Zwei- und Dreiachser gebaut. Im selben Jahr konstruierte
Nagelmackers einen Wagen der Anhalter-Bahn zu einem
Salonwagen mit Tischen und Stühlen um: der erste noch
unvollkommene Speisewagen war da. 1881 baute die Firma
Rathgeber in München den ersten richtigen Speisewagen:
Raucher- und Nichtraucher-Abteil, insgesamt 12 Sitze an
Tischen mit zwei und vier Plätzen. Zwei Jahre später war
Nagelmackers stolzester Tag: Nach unendlichen und mühsamen
Verhandlungen mit den Eisenbahnverwaltungen Frankreichs, der
kaiserlichen Verwaltung der elsässisch-lothringischen
Bahnen, der badischen, württembergischen, bayerischen, österreichischen
und rumänischen Staatsbahnen kam in Konstantinopel der
Vertrag mit der CIWL zustande: Der Orient-Express, »Express
d'Orient«, konnte fahren.
Auszug aus Erlebnis Eisenbahn |
Diese Seite wurde erstellt am: 16.10.2004 21.50.50