Die Pazifik1905
beschaffte die Pennsylvania von der American Locomotive
Company in Philadelphia (der „Alco" späterer Jahre)
eine Pazifik-Versuchsmaschine, die als K-1 klassifiziert
wurde. 1910 wurde die Klasse K-2 entworfen und in
zunehmenden Stückzahlen ab 1911 gebaut. Diese besaß die
große, breite Belpaire-Feuerbüchse.
1913 entwickelte sich die Bauart, nunmehr auf Heißdampf
umgeändert, zur Klasse K-3. Bis dahin hatte sich die
Pazifik in Nordamerika allgemein durchgesetzt. In
Europa erschien sie während der Jahre 1907-08. Den Anfang
machte Frankreich 1907 mit einem recht plumpen Entwurf für
die Westbahn, bei welchem die verlängerte Rauchkammer fast
halb so lang wie der Kessel zu sein schien. Es folgte die
deutsche Fabrik von J. A. Maffei unter dem großen Anton
Hammel mit einer Lieferung an die Badische Staatsbahn. 1908
schuf ein weiterer großer Mann des Lokomotivbaus, George
Jackson Churchward, eine einzelne Lok für die Great Western
Railway, wo sie eine Art lästiges Anhängsel darstellte,
denn sie konnte infolge ihres hohen Gewichtes auf den
Strecken westlich von Bristol nicht eingesetzt werden. Von
Churchward stammte allerdings schon eine sehr leistungsfähige
2CVierlings-Type, die unter ständiger Vergrößerung bis
zum Ende ihrer Tage 1957 der Gesellschaft genügen sollte
(Pazifiks wurden in Großbritannien bis zum Ende der
zwanziger Jahre nicht recht heimisch). Hammel
vom J. A. Maffei-Unternehmen in München gebührt das
Verdienst, die beste dieser frühen europäischen Pazifiks
geschaffen zu haben. Diese, zuerst als Reihe S 3/6 der
Bayerischen Staatsbahn bezeichnet, war eine vergrößerte,
mit Überhitzer und großer Feuerbüchse ausgerüstete
Version von Hammels S 2/5-Atlantik und, noch näherliegend,
einer 2 B 2-Versuchsmaschine, die 1906 für hohe Geschwindigkeiten
gebaut worden war und jetzt im Nürnberger Verkehrsmuseum
steht. Die S 3/6, eine Vierzylinder-Verbundmaschine,
entstand erstmals 1908 und wurde mit kleinen Änderungen bis
zum Jahre 1930 nachgebaut. Eine historische Tatsache, die
kaum Parallelen in der Geschichte des Dampflokomotivbaus
findet. Der Entwurf zeigte eine bemerkenswerte Verbindung
von europäischer und amerikanischer Tradition und war
sicherlich durch den Ankauf zweier Atlantik-Maschinen aus
Amerika kurz vor der Jahrhundertwende beeinflusst. Das
war nach amerikanischen oder späteren europäischen
Begriffen keine große Maschine, sie konnte aber jahrelang
ohne sichtbare Anstrengung alles, vom schweren
internationalen Schnellzug bis zum Ausflugszug ins Gebirge,
befördern. Optisch betrachtet war sie äußerst schön
und eine Studie für architektonische und maschinelle
Ausgeglichenheit. Die letzten Exemplare standen bis 1965 in
Dienst. Eine befindet sich jetzt im Deutschen Museum und
eine andere im Schweizer Verkehrshaus Luzern. Für viele
Deutsche waren sie die schönsten Lokomotiven der Welt.
Unbeschadet der deutschen Vorliebe für Superlative würden
wir die bayerische S 3/6 - angenommen, es gäbe einen Schönheitswettbewerb
für Pazifik-Lokomotiven, die vor 1925 gebaut wurden - mit
der Pennsylvania-Klasse K 2 von 1911 und der Great
Northern-(England)-Klasse A 1 von 1922 gleichstellen. Alle
drei waren wunderbare Maschinen! Doch
trotz der Vorzüge einer so großartigen Lokomotivtype
zeigte sich Europa zurückhaltend. Frankreich nahm sie
allerdings mit Freuden auf. Alle seine regionalen
Gesellschaften stellten Pazifiks in Dienst. Norddeutschland
sollte bis zur Mitte der zwanziger Jahre ohne sie auskommen,
Schweden baute sie 1914. Wie die bayerischen waren dies
Vierzylinder-Verbundmaschinen mit außenliegenden
Niederdruckzylindern (die in diesem Fall steil geneigt
waren). Die schwedischen Maschinen wurden infolge der
Elektrifizierung überflüssig, sie gelangten nach Dänemark.
Als Folge dieses Wechsels sollte sich diese Type über ein
halbes Jahrhundert halten. Die französischen Pazifiks mit
und ohne Verbundwirkung gehörten viele Jahre lang zu den
besten Schnellzugmaschinen der Welt. In modernisierter
Gestalt kann die Bauart sogar jetzt zur Zeit der
Niederschrift in Calais noch gesehen werden. Mancher britische
Eisenbahnfreund unternimmt zu diesem Zweck einen
Wochenendausflug über den Kanal. Die größten und stärksten
der älteren europäischen Pazifiks schuf J. B. Flamme von
der Belgischen Staatsbahn. Einige davon überstanden mehr
als fünfzig
Jahre, andere gingen schon kurz nach ihrem Bau durch den
Krieg verloren. Italien griff die Pazifik nur zögernd auf,
und Russland verhielt sich noch vorsichtiger; beide Länder
beschafften als Schnellzuglokomotive die 1 C 1-Bauart in großer
Stückzahl, die man im Mittelwesten der Vereinigten Staaten
als Prärie-Type bezeichnete. Bei mäßig hohen
Geschwindigkeiten genügten sie während vieler Jahre
Dampftraktion vollauf. Österreich und in geringerem Umfang
Ungarn wandten sich ihr ebenfalls zu. Nicht zuletzt führten
die Erfolge der italienischen und österreichischen
Maschinen zum Bau der leistungsfähigen - und nach unserer
Ansicht sehr hübschen - russischen Klasse Su, die lange
nach der Revolution weitergebaut wurde. In Russland erfreute
sich vor 1914 auch die Mogul-Lokomotive, die 1 C, großer
Beliebtheit und in vielen anderen europäischen Staaten
ebenfalls, obwohl man sie in Nordamerika als überholt und
altmodisch zu betrachten begann. Dort wurden die Gewichte
der Güterzüge allmählich zum Alptraum aller Lokomotivmänner. Preußen,
Bayern, Italien, alle skandinavischen Länder und in
zunehmendem Maße England erkannten in der 1 C eine äußerst
brauchbare Lokomotive für die leichten Güter- und die
langsameren Personenzüge. Besonders Italien entwickelte sie
in seiner einst berühmten Klasse 640 der Staatsbahn zu
einer sehr befriedigenden Schnellzuglokomotive, welche man
sogar noch während der letzten Jahre auf den mit Dampf
betriebenen Flachlandstrecken des Nordens sehen konnte. Die
Mogul war eine großartige Lokomotive für mittleren
Dienst, sie hielt sich lange auf den leichter verlegten
Strecken in beiden amerikanischen Kontinenten (die in den südamerikanischen
Republiken meist von Engländern oder Schotten erbaut und
deren Eisenbahnanlagen während des Dampfzeitalters in
britischem Besitz waren). Eine Kuriosität: Englands einzige
Moguls waren über mehr als ein Jahrzehnt hinweg zwei
Konstruktionen, die Südamerika, Australien, Spanien und
mehrere andere Teile der Welt recht gut kannten. Sie
landeten infolge Zahlungsunfähigkeit des südamerikanischen
Bestellers bei einer entlegenen englischen Gesellschaft -
der Midland und South Western Junction - die in
Schwierigkeiten geraten war, sich aber unter ausgezeichneter
Leitung wieder erholte. In Ländern mit privaten
Eisenbahnen gibt es dergleichen. Staatsbahnen gingen selten
auf Gelegenheitskäufe ein, doch verkauften sie hier und da
ihr veraltetes rollendes Material an kleinere und weniger
begüterte Gesellschaften. Sogar die britische Regierung
brachte es Jahre danach fertig, veraltetes Material und überflüssige
Lokomotiven des Kriegsministeriums an die
Shanghai-Hankau-Ningpo Railway abzustoßen. Ähnliches fand
auf seiten der britischen und amerikanischen Regierungen
statt, als 1945 die Kämpfe aufhörten und noch viele Jahre
danach! In
Österreich tauchten in jenen Jahren interessante und recht
unorthodoxe Pläne auf. Der große Karl Gölsdorf stand auf
der Höhe seiner Schaffenskraft, und vielleicht war nur er
befähigt, auf den Gedanken einer umgekehrten Pazifik zu kommen.
Sie setzte den „Mucca"-Gedanken des Italieners
Plancher, die große Feuerbüchse über das Drehgestell zu
legen, fort. Das gelang durch Wahl der 1 C 2-Achsfolge. Sie
besaß den großen, konisch zulaufenden Kessel, den
Churchward mit Erfolg auf der Great Western Railway in
England angewandt hatte und auf den andere britische
Lokomotivmänner sehr misstrauisch schauten, denn er
erinnerte sie an die abgeänderte amerikanische
wagon-top-Type. (Gölsdorf in Österreich und Churchward
in England besuchten einander und tauschten Erfahrungen
aus!) Die neue Gölsdorf-Schnellzuglokomotive von 1910 war
eine 1 C 2-Vierzylinder-VerbundMaschine. Glücklicherweise
erhielt sie statt der unmöglichen Bissel-Achse ein KraussHelmholtz-Drehgestell,
das die vordere Kuppelachse bei entsprechendem Spiel in die
Laufachse mit einbezog. Die Anordnung verlieh ihr einen der
2 B 2 ähnlichen Kurvenlauf. Soweit wir wissen, ist Großbritannien,
und so weit wir glauben, Nordamerika niemals mit dieser
wunderbaren Einrichtung in Berührung gekommen. Eine der
vielen Merkwürdigkeiten in der Geschichte des
Maschinenbaus. Diese
österreichische 1 C 2-Schnellzuglokomotive war eine der
klassischen Konstruktionen ihrer Zeit. Preußen übernahm
1918 einige Maschinen, die dann nach Polen gelangten, ebenso
wie viele einheimische österreichische ihren Weg anderswohin
fanden, als 1918 das Kaiserreich zerfiel. Für den
Gebirgsdienst baute Österreich eine 1 F-Maschine mit ähnlichen
Abmessungen wie die 1 C 2. Im Betrieb stellte sich
dann heraus, dass die 1 E-Achsfolge wie in vielen anderen
europäischen Ländern ausreichte. Diese späteren österreichischen
Maschinen waren von unnachahmlicher eigener Schönheit. Eine
derartige Eigentümlichkeit könnte für verschiedene
Bauarten dieser Periode beansprucht werden - für die Great
Western in England, für die Pennsylvania in Nordamerika, für
Maffei in München und die Nordbahn in Frankreich -, aber
viele sind es nicht.
Auszug aus Die Welt der Eisenbahn |
Diese Seite wurde erstellt am: 09.04.2005 20.51.25