Morgendämmerung der Dampfzeit

In den Vereinigten Staaten von Amerika verließen wir jenen begabten Horatio Allen, als er sich von der kleinen Behelfseisenbahn der Delaware und Hudson Company zurückzog, enttäuscht und auch in Misskredit gebracht. Aber er besaß jene Beharrlichkeit, die George Stephenson angesichts ähnlichen Missgeschicks auszeichnete. Amerika war von England sehr verschieden; selbst die gemeinsame Sprache hat zu Schwierigkeiten geführt.

In den Vereinigten Staaten - damals viel kleiner als heute, aber mit westlichen Maßstäben, ausgenommen russischen, gemessen, dennoch sehr groß - gab es weit weniger Vorurteile gegen die neuen Maschinen als in England oder den anderen europäischen Ländern. Die maßgebenden Bevölkerungsschichten Britanniens sahen oft in der Maschine etwas, das ihre Lebensweise durcheinanderbringen und an den Grundfesten des Staates rütteln könnte. Der unmittelbare wirtschaftliche Erfolg der Liverpool und Manchester Bahn, der mit seinem über Nacht einsetzenden starken Güter- und Reiseverkehr selbst die Direktoren überraschte, erbitterte besonders die Landbesitzer. Aber die Amerikaner, die danach strebten, die Gebiete der an der Küste oder an den Flussufern liegenden ehemaligen Kolonien zu einem mächtigen Staat zusammenzuschließen, erblickten in dem in den Kinderschuhen steckenden Eisenbahnzug eine gewaltige, friedliche Waffe, gerade dies zu vollbringen, und nahmen die Dampfeisenbahn begeistert auf.

Natürlich sollte es noch eine Reihe echter Kämpfe in den Staaten geben, noch war die Zeit nicht angebrochen, wo Züge vom Atlantik zum Pazifik fahren würden (in Etappen). Aber die großen Ströme konnten miteinander verbunden werden, sogar der Atlantik mit dem Mississippi. Es erwies sich als nicht einfach. Nach europäischen Begriffen war das Land noch unvorstellbar wild. Es gab kaum einheimischen Maschinenbau; ein Dorfschmied war schon eine Persönlichkeit, man braucht nur Henry Wadsworth Longfellow, einen der größten alten amerikanischen Dichter, zu lesen. Nur eine einzige technische Lehrstätte gab es, und das an der Militärakademie von West Point im Staate New York.

Am 28. Februar 1827 erteilte der Staat Maryland den Gründern des Unternehmens, das Baltimore und Ohio Railroad genannt werden sollte, eine Konzession. Bei der Vermessung leistete die US-Armee wertvolle Hilfe. Zur ursprünglichen Strecke gehörte der großartige Carollton-Viadukt, 1828 begonnen und aus Maryland Stein gebaut. Sein Grundstein wurde von Charles Caroll gelegt, von dem die Stätte ihren Namen herleitet. Er war damals der letzte Überlebende der Unterzeichner der Unabhängigkeitserklärung. Um ein halbes Jahrzehnt eilte dieses beachtliche Bauwerk dem berühmten Thomas-Viadukt bei Relay in Maryland voraus, der 1835 fertiggestellt wurde. Zwischen diesen großen Gewölbebrücken lag zeitlich der Sankey Viadukt in England (1829-30), obgleich keiner von ihnen an Alter der Causey Arch in Northumberland nahe kam.

Aber zurück zu unserem Eisenbahnzug! Anfang 1830 wies die Baltimore und Ohio Railroad (die erst 1853 den Ohio erreichen sollte) rund 23 km doppelgleisige Strecke von Baltimore nach Ellicot's Mills auf, die mit Pferdewagen befahren wurde. Die Bahn bestand aus mit Eisen beschlagenen hölzernen Schienen.

Peter Cooper, ein reicher und erfinderischer New Yorker Zeitgenosse, baute zwecks Vorführung auf der neuen Eisenbahn eine sehr kleine Versuchslokomotive, die Tom Thumb. Sie besaß einen senkrecht stehenden Röhrenkessel, die Rohre bestanden aus abgesagten Musketenläufen, ferner Zahnradantrieb. Ein durch Riemen angetriebenes Gebläse sorgte für Zug. 1830 ließ Cooper die Tom Thumb mit einem Pferdewagen auf dem zweiten Gleis um die Wette laufen. Das große Pferd trabte geschwind los, und bald überholte es die kleine Maschine. Der Riemen für den Gebläseantrieb begann zu rutschen. Cooper versuchte heldenmütig, den Treibriemen auf dem Rad zu halten, aber er bekam nur die Hand zerschnitten. So gewann das Pferd das Rennen. Dennoch hatte Peter Cooper den Leuten etwas gezeigt, was sie andernfalls niemals geglaubt haben würden.

Größere Heldentaten wurden im Süden verwirklicht. Die South Carolina Railroad wurde vermessen und sollte die Atlantikküste bei Charleston mit dem Stadtgebiet von Hamburg am Ufer des Savannah River gegenüber der aufstrebenden Stadt Augusta in Georgia verbinden.

Dorthin wandte sich Horatio Allen und erholte sich als guter Amerikaner bald von den Enttäuschungen mit der Delaware und Hudson Company im Norden. Er wurde in der zweiten Jahreshälfte 1829 zum Chefingenieur der neuen Eisenbahn ernannt, ungefähr zu gleicher Zeit, als die Stephensons, Hackworth, Ericsson und andere damit beschäftigt waren, die vorsichtige Lancashirer Geschäftswelt von der Wichtigkeit der Dampflokomotive oben im englischen Nordwesten zu überzeugen. Allen seinerseits überredete Anfang des nächsten Jahres seine Direktoren dazu, ausschließlich Dampf zu verwenden. Er hatte in E. L. Miller aus Charleston einen fähigen Maschineningenieur. Die West Point-Gießerei übernahm den Bau von vier Maschinen, denn dieses Mal bestand kein Grund zur Zuhilfenahme britischer Hersteller wie damals in Honesdale. Die erste Maschine, glücklich The Best Friend of Charleston genannt, wurde im März 1830 bestellt, unversehrt nach Charleston verschafft, wo sie von Julius Petsch und Nicholas Darrell zusammengebaut wurde, und dampfte am 2. November zum ersten Male davon.

Im Dezember lief sie während mehrerer Fahrten mit über 40 Passagieren (etwa zehn auf einem leichten zweiachsigen Wagen), wobei sie gerade 32 km/h überschritt. Der öffentliche Betrieb begann am 15. Januar 1831 mit der Eröffnung von Amerikas erster Eisenbahn unter Dampfkraft. Der erste Abschnitt führte nur 10 km aus der freundlichen Stadt Charleston heraus. Obwohl dieses Unternehmen wesentlich bescheidener begann als die Liverpool-Manchester-Bahn in England, erwies sich die Sache als glücklicher. Niemand kam zu Schaden, nicht einmal ein Ex-Kabinettsminister. Der erste kleine Wagen trug Soldaten mit einem leichten Feldgeschütz, das fleißig blinde Schüsse abgab. Im nächsten Wagen saß eine Blaskapelle, und zum Schluss kamen natürlich die Bahnbesitzer und ihre Freunde.

Ein bescheidener Anfang vielleicht; aber 1833 erreichte die Strecke von Augusta aus über den Fluß Hamburg. Die Entfernung von 217 km machte sie zur bisher längsten Eisenbahn.

Irgend jemand hat den "Best Friend' die "Rocket of America" genannt, und das mit einigem Grund. Wie die Rocket in England (die später zwei schlimme Entgleisungen erlitt) neigte sie zu Unfällen. Ihr Heizer war ein Negerjunge, der die Kraft des Dampfes nicht hinreichend kannte. Als ihn das Sicherheitsventil mit seinem Lärm störte, band er es an einem schwarzen Tag fest, der zufällig der 17. Juni 1831 war. Der kleine "Rheinwein"-Flaschenkessel explodierte. Darrell, der verantwortlich war und den bösen Streich seines Heizers vielleicht gesehen hat, wurde schwer verbrüht. Der Heizer starb.

Der "Best Friend" ähnelte keiner der Maschinen vom Rainhill-Wettbewerb, außer daß er wie die Sans Pareil beide Achsen gekuppelt hatte. Die Zylinder lagen geneigt zwischen dem Rahmen und trieben eine hintere Kropfachse. Diese und ein unten liegender Wasserbehälter hielten mit dem stehenden Kessel das Gleichgewicht, oder man hoffte wenigstens, daß sie es täten. Nach dem Unfall wurde die Lok umgebaut und zutreffend in Phoenix umgetauft. In dieser Form lag der Kessel zwischen den Achsen. Er war immer noch flaschenförmig, erinnerte aber jetzt mehr an Gin als an deutschen Wein.

Weitere Maschinen ähnlicher Bauart kamen von der West Point-Gießerei, die )jedoch mit unterschiedlichen Kesseln ausgerüstet waren. Die zweite, die West Point, besaß einen horizontalen Kessel nach mehr oder weniger englischem Stil, wie er später die Normalform bilden sollte, trotz der anfänglichen Zuneigung der Amerikaner zum stehenden Typ.

Ohne irgendeine abfällige Kritik üben zu wollen, bedarf es jedoch der Erwähnung, daß diese ersten amerikanischen Lokomotiven im Vergleich zu den englischen oft sehr grob hergestellt waren. Dennoch liefen sie, waren wirklich robust und, soweit es anging, so entworfen, daß im Falle einer Störung der Grobschmied Basil auch im entlegensten Dorf Reparaturen zufriedenstellend ausfahren konnte (vergleiche wiederum Longfellow!).

Doch eine Welle zurück nach England! Wir hatten gehört, daß Edward Bury zu spät kam, um eine betriebstüchtige Lokomotive für den Rainhill-Wettbewerb fertigzustellen. Wie seine erste Lok, die Liverpool, tatsächlich ausgesehen hat, können wir hier nicht zeigen, da wir es nicht mit Sicherheit wissen. Vermutlich wurde sie nicht zum Wettbewerb zugelassen, einfach, weil sie in ihrer ursprünglichen fragwürdigen Bauart nicht funktionierte. Aber zusammen mit James Kennedy (der 1830 in Parkside so unglücklich Mr. Huskisson überfuhr und tötete) baute er seine Maschine um. Die Lokomotive lief zweifellos auf der Liverpool and Manchester Railway, ist jedoch als internationaler Prototype weit bedeutender.

Schon ihre verhältnismäßig großen gekoppelten Räder fallen auf (für 1830 durchaus eine Ausnahme), das hervorstechende Merkmal dürfte jedoch ihr innenliegender eiserner Barrenrahmen und ihre unter der Rauchkammer angeordneten geneigten Innenzylinder gewesen sein. Wir erkennen einen horizontalen Kessel mit einer D-förmigen Feuerbüchse unter einer gewölbten Außenverkleidung. Verglichen mit der Rocket oder der Best Friend of Charleston wirkt ihr Äußeres schon recht vertraut. Nebenbei: Die reich verzierte Krone oben auf ihrem Schornstein stammte aus dem Wappen der Stadt Liverpool.

Die Liverpool bekam größte Bedeutung für die Entwicklung der Lokomotive. Ihr Barrenrahmen sollte in Amerika während der ganzen Dampflokzeit Allgemeingut werden, während Europa mit einem großen Teil der übrigen Welt ihn früher oder später ebenfalls übernehmen sollte. Die D-förmige und mit einer Kuppel gekrönte Feuerbüchse wurde gleichfalls von Amerika aufgegriffen und dort noch bis in die sechziger Jahre gesehen. Alle diese Neuerungen stammten von einigen Maschinen, die Bury für die Philadelphia und Reading Railroad in den dreißiger Jahren baute (eine von ihnen hieß Rocket!). Lassen wir aber die Entwicklung der Bury-Lokomotive eine Welle außer acht und schauen wir uns nach den Stephensons um. Wir verließen sie beim Bau der Rocket-Serie und der Durchführung einiger Verbesserungen im Rahmen der Möglichkeiten der Type. Aber - noch 1830 - entstand die Planet. Ihr Kessel entsprach ungefähr dem der Northtimbrian und Majestic, den letzten der Rocket-Serie von der Liverpool- und Manchester-Eisenbahn. Aber die Zylinder befanden sich innen und lagen horizontal, zusammen mit dem Außenrahmen war hier eine kräftige, robuste Maschine entstanden.

Schnell wurden weitere Verbesserungen an dieser Planet-Type ausgeführt, deren erste in der Anordnung von zwei gekoppelten Achsen für eine Güterzug-Variante bestand. Mehrere "Planets" wurden nach Amerika geliefert, wo Matthias Baldwin sie in einer berühmt gewordenen Maschine, der Old Ironsides, nachbaute, 1832 für die Philadelphia, Germantown und Norristown Railroad. Er bekam viel Arger, um schließlich 3500 Dollar von vorher vereinbarten 4000 zu erhalten, so daß er verzweifelt gesagt haben soll: "Das ist unsere letzte Lokomotive!' Sie war es natürlich nicht, die Baldwin Locomotive Works zu Philadelphia sollten einer der größten und berühmtesten Lokomotivhersteller der Welt werden.

Eine zweifach gekoppelte "Planet" mit dem Namen John Bull wurde von den Stephensons für die Camden und Amboy Railroad in Pennsylvanien (ein Stevens Unternehmen) gebaut und 1831 von Isaac Dripps zusammengesetzt. Später rüstete sie Dripps mit einem Schienenräumer aus, der vorn auf einer eigenen Achse lief und somit nicht nur die Maschine stützte, sondern vermutlich auch vor Entgleisung schützen sollte, wenn sie mit einer selbstmörderischen Kuh zusammenstieß. Daher stammt auch der verbreitete, aber recht unakademische Ausdruck Kuhfänger für den Schienenräumer einer Lokomotive. Obgleich sich dieser in Amerika einbürgerte, fand man ihn in Europa selten, höchstens im Osten und Norden. John Bull existiert noch und wurde zur ältesten Originallokomotive Amerikas. Sie ist bis auf den heutigen Tag in Ehren gehalten worden.

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